Interessanter Bericht über die Änderungen in der Gesellschaft und der Umbruch in der Arbeitswelt. Dieser Artikel stammt zwar aus dem Jahr 1998. Die Inhalte bestätigen sich aber Tag für Tag.

Quelle: Junge Karriere - Eine Zeitschrift des Handelsblattes Nr. 3/1998

Kampf der Titanen
"Baby-Boomer zieht euch warm an!" mahnt Don Tapscott nicht ohne Augenzwinkern. "Es kommt eine Welle medienkundiger, zuversichtlicher, kollegialer und innovativer Jugendlicher in Kürze auf den Arbeitsmarkt. Die werden euch hinwegschwemmen aus den Unternehmen und zu Verlierern machen auf dem Arbeitsmarkt, wenn ihr nicht Jahre der Konditionierung und alte Arbeitsmodelle ohne jede Reue über Bord werft. "Don Tapscott prophezeit den Kampf der Titanen unter den Generationen: die Baby-Boomer gegen ihre eigenen Kinder, die zahlenmäßig noch viel größere "NetGeneration". Zum ersten Mal in der Geschichte nämlich seien Kinder und Jugendliche gebildeter als ihre Eltern - und zwar genau dort, wo die Zukunft liege: im Netz. Die Möglichkeiten. die das Netz der jungen Generation gebe, formten deren Arbeits--, Lebens- und Konsumgewohnheiten auf eine Weise, die deren Eltern, aber auch viele aus der Generation X heute zwischen 21 und 33 Jahre alt - überhaupt noch nicht kapiert hätten. Ein Jahr lang hat Tapscott Fragen gestellt an die Nett-Generation, hat alles wissen wollen über ihr Leben, wie sie lernen, ihre Freizeit verbringen, wie sie arbeiten, kommunizieren, was sie denken über die Gesellschaft und die Strukturen in heutigen Unternehmen. Das Ergebnis seiner Arbeit, findet er, sage viel aus über die Zukunft, der wir entgegensehen:

Die Kids im Arbeitsleben
Die heutigen Jugendlichen gehen, was die Arbeit betrifft, von gänzlich anderen Annahmen und Voraussetzungen aus als ihre Eltern. Der typische Vertreter der Generation N hat ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Autonomie. Dies ergibt sich weitgehend aus der aktiven Rolle, die er heute als Informationssuchender spielt. Es handelt sich um eine Generation, die nach Möglichkeit die Kontrolle über die eigene Arbeit und ihre Arbeitssituation behalten möchte. Sie fühlt sich wohl in einem Klima der Zusammenarbeit und vielen erscheint die Vorstellung, einen Chef über sich zu haben, geradezu absurd. Sie orientieren sich an Netzwerken.

Wissen teilen
Während es in vielen Unternehmen heute immer noch so ist, dass Wissen als Herrschaftsinstrument betrachtet und folglich nicht mit anderen geteilt wird, sieht die junge Generation den ganzen Sinn ihrer Kommunikation im Netz darin, Wissen zu teilen. "That's what the internet is about. Share knowledge!" brachte eine 15jährige gegenüber Tapscott die Sache auf den Punkt.

Innovation
Daraus folgt ganz logisch, dass für die Netzgeneration das Thema Innovation allgegenwärtig ist. Sie ist dauernd auf der Suche nach der Verbesserung bestehender Systeme. Dabei hat sie gegen harte Arbeit nichts einzuwenden, sieht nicht nach der Uhr und will produktiv sein, denn Arbeit, Lernen und Spiel sind für sie ohnehin dasselbe. Tapscott: "Diese Leute beweisen eine Kreativität, von der ihre Eltern noch nicht einmal träumten."

Organisationsstrukturen
Tapscott ist sicher, daß die Netzgeneration die Unternehmensstrukturen von Grund auf verändern wird, sobald ihre Kultur zur neuen Arbeitskultur wird. Traditionelle Hierarchien wird sie nicht mehr dulden und ein Management im herkömmlichen Sinne taugt in einer solchen Arbeitswelt nichts mehr. Wo die Netzgeneration den Ton angibt, sind Managementkonsens und Teamarbeit mehr als reine Schlagworte. Die Führungskraft der Netzgeneration nutzt die neuen Medien zur Unterstützung der täglichen Arbeit, zur Kommunikation nach innen und außen. Sie errichtet auf der Grundlage der Vernetzung ein Echtzeitunternehmen, das für eine Wirtschaft, die ebenfalls zur Echtzeitwirtschaft wird, geeignet erscheint. Das neue Medium ermöglicht ihr die Schaffung einer flacheren, offeneren Unternehmensstruktur und einer Kultur, die digital und reaktionsfreudig ist:

Zeitarbeit
Es lässt sich bereits absehen, dass zahlreiche Vertreter der Netzgeneration Zeitarbeitsverhältnisse einem festen Arbeitsvertrag vorziehen werden, weil es ihnen mehr Abwechslung im Beruf und bessere Möglichkeiten zu Weiterbildung und lebenslangem Lernen bietet.

Gute Machtposition
Die Net-Kids kommen genau in dem Moment auf den Arbeitsmarkt, da viele Unternehmen sich mit Hilfe der neuen Technologien neu finden müssen, intellektuelles Kapital zur wichtigsten Kapitalform und Innovationsbereitschaft zum Schlüssel des Erfolges geworden sind. Ihre Machtposition ist stark und sie wird noch stärker, denn zur Zeit sind wir erst in einer Phase, da die Unternehmen lernen, das Internet als Marketinginstrument zu nutzen, doch schon bald werden sie ihre Geschäfte auch tatsächlich im Netz abwickeln. Damit haben die heutigen Net-Kids die Kompetenzschlüssel für die Zukunft in der Hand. Dabei verfügt das Kapital der Netzgeneration in einem Maße über einen freien Willen wie noch bei keiner Generation zuvor. Es kann einfach zur Tür hinausspazieren. Unfaire Behandlung durch ihren Arbeitgeber wird die Netzgeneration deshalb keinesfalls hinnehmen - zumal sie über ein neues Organisationsmittel verfügt: das Netz. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter schlecht behandeln, werden hier an den Pranger gestellt werden - und das mit Lichtgeschwindigkeit. In Extremfällen ist sogar zu erwarten, dass verärgerte Jugendliche Unternehmen, die sie schlecht behandelt haben, durch im Internet organisierte Boykottaufrufe, das Eindringen in "sichere" Dateien des Unternehmens und Maßnahmen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können, bewusst ruinieren werden.
Je mehr wir uns also in Richtung Informationsgesellschaft bewegen, desto mehr werden Unternehmen ihre Mitarbeiter wirklich wie ihre wertvollste Ressource behandeln müssen. Vor allen Dingen ist damit zu rechnen, daß Unternehmen neue Wege in der Entlohnung ihrer Mitarbeiter einschlagen werden - Wege nämlich, die auf dem geschaffenen Mehrwert beruhen. Das hätte eine tiefgreifende Demokratisierung der Besitzverhältnisse in der Wirtschaft zur Folge.

Gründe
Die Vergütungssysteme werden schon deshalb neu gestaltet werden müssen, weil die Netz-Generation im Grunde ihres Herzens eine Gründergeneration ist. Viele der klügsten und vitalsten Jugendlichen würden schon heute lieber ein neues Unternehmen gründen als ein bestehendes umzugestalten. Etliche von ihnen sind schon heute unternehmerisch im Netz tätig und verdienen dort bisweilen mehr Geld als ihre Eltern.